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1. Oktober 2013

Medizinstudium und dann? – auf dem Weg in die Allgemeinmedizin

 Finanzielle Förderprogramme sollen die jungen Mediziner aufs Land locken. Schon länger wird daher die Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten auf dem Gebiet der Allgemeinmedizin unterstützt. Seit Kurzem werden zusätzlich Famulaturen in hausärztlichen Praxen gefördert. KV-TV besucht die Praxis von Sanitätsrat Dr. Gernot Nick in Bendorf. Hier ist man schon lange aktiv um den Nachwuchs bemüht. Zwei Frauen – eine Ärztin in Weiterbildung und eine Famulantin – erzählen, was sie an der Allgemeinmedizin reizt, welche Wünsche sie für ihre berufliche Zukunft haben und warum Sie weder auf Beruf noch auf Familie verzichten möchten.

Service

Lesefassung

Sprecherin: Bendorf liegt im Norden von Rheinland-Pfalz, am Rhein zwischen Koblenz und Neuwied. Hier gibt es seit fast 70 Jahren die Hausarztpraxis "Nick". Mittlerweile ist sie die Letzte. Die anderen Hausarztpraxen haben zugemacht. Es hat sich kein Nachfolger gefunden. In der Gemeinschaftspraxis arbeiten drei Ärzte, eine Weiterbildungsassistentin und zurzeit auch eine Famulantin, die Düsseldorfer Medizinstudentin Elisabetha Hahn.

Elisabetha Hahn: Es ist etwas ganz anderes, als im Krankenhaus zu arbeiten, weil man da punktuell die Patienten sieht. Sie kommen in einer Akutsituation, denen geht es schlecht. Die Patienten sind meistens dann natürlich nicht so gut drauf und man versucht alles, um dem Patienten in der Situation zu helfen, aber man sieht sie danach auch nicht mehr. Man weiß nicht, wie es weiter geht.

Und hier kriege ich es wirklich mit: Die Patienten kommen in der Zeit, in der ich hier bin, vielleicht auch mehrfach. Denen geht es nicht unbedingt so schlecht, sie erzählen dann auch wie es in der Familie ist und alles. Ich kriege so einen Verlauf viel besser mit. Ihnen ging es am Anfang vielleicht nicht so gut, dann geht es ihnen wieder etwas besser. Dann haben sie vielleicht noch das Problem, dann dieses und jenes. Ich habe einfach so einen globaleren Blick von dem Patienten und eine viel persönlichere Komponente mit drin, die im Krankenhaus oft fehlt, weil die Zeit auch einfach nicht dafür da ist.

Dr. Gernot Nick: Wenn das jetzt eine Überweisung nur für eine bestimmte Untersuchung ist, dann darf hier also nicht "mit Behandlung" angekreuzt sein, sondern "Durchführung bestimmter Leistungen".

Sprecherin: Die Stelle der Weiterbildungsassistentin ist besetzt von Tochter Eva.

Eva Schneeberger-Nick: Das Tollste ist das breite Spektrum. Dass ich nicht weiß, was mich erwartet. Ob es ein Tag voller Husten, Schnupfen, Heiserkeit ist oder Magen-Darm. Ob vielleicht doch der akute Herzinfarkt kommt. Dass ich immer angehalten bin, mich in alle Richtungen weiterzubilden und auch fortzubilden, das sind die positiven Aspekte. Wie hat sich das denn entwickelt? Ist das schlechter geworden in letzter Zeit?

Sprecherin: Ob Eva Schneeberger-Nick die Praxis einmal übernehmen wird, das weiß sie noch nicht. Ganz bewusst hat sie sich aber für die Weiterbildung in der Familienpraxis entschieden.

Eva Schneeberger-Nick: Der Schritt war von der stationären Ausbildung, zwei Jahre Frankfurt Krankenhaus, erstmal vorübergehend für ein Jahr in einer Praxis in Hofheim im Vordertaunus. Da habe ich mich dann an das ambulante Arbeiten gewöhnen können und auch an die ambulante Betreuung von Patienten, was mir gut gefallen hat. Und dann zog es mich aber eigentlich aus privaten und familiären Gründen zurück in diese Region. Und dann haben wir eigentlich gesagt, wir versuchen es einfach mal und ich steige einfach mal mit ein für ein bis zwei Jahre meiner Weiterbildung und kann dann immer noch entscheiden, ob ich dabei bleibe oder noch weitergehe.

Sprecherin: In der Praxis Nick sind schon viele Weiterbildungsassistenten ausgebildet worden. Dabei haben sich die Wünsche und Ansprüche der jungen Mediziner im Laufe der Jahre verändert.

Dr. Gernot Nick: Dieser Anspruch, jetzt möglichst schnell in die Praxis, möglichst bald selbst Eigenverantwortung zu tragen, war vor 20, 30 Jahren sehr viel ausgeprägter als heute. Heute sind Werte wie Freizeit, wie Familie, wie geregelte Arbeitszeiten für viele vorrangiger vor der Möglichkeit, selbst eigenverantwortlich, vielleicht auch mit größeren Verdienstmöglichkeiten einen Berufsweg einzuschlagen. Was würden Sie da empfehlen? Was muss man da untersuchen?

Elisabetha Hahn: Erstmal fragen, ob sie auch Schmerzen beim Wasserlassen hat. Wenn das auch positiv wäre, würde ich eine Urinprobe machen.

Dr. Gernot Nick: Urinprobe, ja. Das haben wir jetzt in der vorherigen Woche gemacht.

Elisabetha Hahn: Ich glaube, was viele abschreckt, wäre, alleine zu stehen, alleine eine Praxis stemmen zu müssen, eine wahnsinns Schar an Patienten zu haben, womöglich auf dem Land auch noch mit weiten Wegen verbunden. Dann die direkte Ansprechbarkeit, dass man immer und überall auf Abruf da sein muss. Und dann auch noch, ich meine Ärzte werden nicht schlecht bezahlt, aber für die Verantwortung, die sie tragen, für den Aufwand, den sie machen, wenn man eben auch engagiert ist, doch zu wenig bezahlt werden, das ist für viele unattraktiv.

Eva Schneeberger-Nick: Ich bin aber auch ein Familienmensch und ich möchte auch Feierabend haben, ich möchte Freizeit haben, möchte auch Wochenenden haben. Und ich möchte natürlich auch – und das ist manchmal etwas frustrierend sehen – für das, was wir leisten, auch dementsprechend honoriert werden.

Und jetzt grade zu Ende des Quartals, wenn die Patienten, und wir haben viele Patienten, die sind chronisch krank, zehn, 15, 20 Mal im Quartal kommen und wir sehen dann an der Abfolge der Kontakte, dass wir gar nichts mehr abrechnen können, und trotzdem jeden Tag zehn Stunden arbeiten, dann ist das sehr frustrierend. Und dann macht mich das auch manchmal sehr nachdenklich, das ist dann wieder ein Punkt, wo ich mir überlege, ob das auf Dauer so tragbar ist. Prinzipiell die ambulante Patientenversorgung in einer Hausarztpraxis kann ich mir aber sehr gut vorstellen.

Dr. Gernot Nick: Wenn nicht jede Medizinstudentin und jeder Medizinstudent bereits weiß, dass er als Hausarzt nicht nur Zehnkämpfer ist, sondern dass er mindestens genauso gut verdient wie jemand, der subspezialisiert ist, wird der Nachwuchs nicht so kommen, wie wir ihn auch angesichts der demografischen Entwicklung ganz dringend brauchen.

Sprecherin: Der Hausarztberuf steht vor einer großen Herausforderung. Er muss sich veränderten Gegebenheiten und den Prioritäten der zukünftigen Niedergelassenen anpassen und er muss sich auch finanziell lohnen. Für Elisabetha hat sich der Einblick in die hausärztliche Tätigkeit auf alle Fälle gelohnt. Jeder Tag ist für sie eine Herausforderung.

Elisabetha Hahn: Alle nehmen sich immer noch die Zeit, besprechen mit mir die Patienten vorher, nachher, lassen mich bei den Patienten viel machen. Sie zeigen es mir einmal und dann darf ich selbstständig schon impfen. Ich darf mit abhören, Anamnesegespräche führen. Mit Ultraschall hatte ich schon vorher in einer Famulatur Erfahrungen gemacht, das durfte ich hier dann auch selbstständig anwenden. Gerade jetzt ist wieder so eine Grippewelle im Anflug, da sehe ich sofort, wenn jetzt einer kommt, der könnte das und das haben.

Da kann ich vielleicht auch für mich schon die Entscheidung treffen: Ist das jetzt etwas Bakterielles aufgrund meiner Untersuchung, ist das doch ein viraler Infekt? Wenn ich jetzt die Lunge abhöre, habe ich vom Untersuchungskurs in der Uni, wo ich immer nur die schönen gesunden Lungen gehört habe, jetzt doch schon ganz andere Sachen gehört, wo ich sagen kann, oh, okay. Vielleicht braucht er doch noch ein Asthmaspray dazu. Und das sind auch Sachen, wo ich mittlerweile denke, dass ich sie auch selbst feststellen könnte.

Dr. Gernot Nick: Gucken, dass keine Druckstellen sind. Die Fersen sind in Ordnung. Dann können Sie hier schön die Fußpulse tasten. So, sehen Sie, da kann man richtig feste schön tasten. Das heißt, die Füße werden genügend durchblutet.

Sprecherin: Auch wenn Elisabetha noch nicht weiß, ob sie sich als Hausärztin niederlässt, eines weiß sie ganz genau.

Elisabetha Hahn: Ich möchte unbedingt in diesem Beruf arbeiten. Ich werde nie sagen, ich würde komplett für meine Familie auf den Beruf verzichten, aber ich möchte eben auch Familie haben. Und dass ich das irgendwo vereinbaren kann, dass ich immer noch weiter dann als Ärztin gefordert werde und mich auch weiterbilden kann und nicht immer nur auf dem gleichen Stand stehen bleibe wie ich aus der Uni rauskomme, dass ich auch offen für alles bleibe und alles Mögliche mitnehme.

Und dass ich das irgendwo auch auf einen Nenner bringen kann. Weil, ich möchte auf beides eigentlich nicht verzichten. Ich hoffe, ich schaffe diesen Spagat dann irgendwann mal, aber ich meine, ich bin zum Glück noch nicht in der Situation. Aber das wäre doch ein großer Wunsch, dass ich das hinbekomme und dann auch eine ausgewogene Work-life-balance hinbekomme.

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