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8. Mai 2024

Rechtsprechung: Hilfsmittelversorgung für Gehbehinderte verbessert

Urteil des Bundessozialgerichts

Die gesetzlichen Krankenkassen müssen gehbehinderten Menschen auch leistungsfähigere Hilfsmittel ermöglichen, die über den fußläufigen Nahbereich hinausgehen – abhängig von den örtlichen Gegebenheiten und sofern dies der Gesunderhaltung dient. Mit seinem Urteil hat das Bundessozialgericht (BSG) seine bisherige Rechtsprechung geändert und dem betroffenen Kläger ein Handkurbelrollstuhlzuggerät mit Motorunterstützung zugesprochen.

Der gesetzlich krankenversicherte Kläger ist seit seiner durch einen Verkehrsunfall erlittenen Querschnittslähmung zur Fortbewegung auf einen Rollstuhl angewiesen. Diesen kann er selbstständig in seinen Pkw verladen und so seinen Arbeitsplatz erreichen. Seit einigen Jahren leidet der Mann zusätzlich an einer Arthrose des linken Daumensattelgelenks, die beim Zugreifen auf den Greifreifen des Rollstuhls einen stechend-brennenden Schmerz auslöst.

Im Jahr 2017 stellte der heute 54-Jährige bei seiner Krankenkasse einen Antrag auf Versorgung mit einem an dem Rollstuhl zu befestigenden separaten Zuggerät mit Handkurbel und Motorunterstützung für eine Geschwindigkeit bis zu 25 Stundenkilometer. Der damalige Preis lag bei etwa 6.500 Euro. Nach Beteiligung des Medizinischen Diensts der Krankenversicherung lehnte die Krankenkasse den Antrag auf Kostenerstattung ab. Die Krankenkasse begründete dies damit, dass ein motorunterstütztes Zuggerät für die Bewegung im Nahbereich nicht erforderlich sei. Ein restkraftunterstützender Antrieb für die Greifreifen reiche aus. Dieser Auffassung der Krankenkasse hatte sich zunächst auch das Sozialgericht (SG) in erster Instanz angeschlossen.

Das Landessozialgericht hob die Entscheidung des SG auf, nachdem es ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt hatte. Aufgrund der Bedienungsart des Rollstuhlzuggeräts könne vermieden werden, dass sich die beim Kläger vorliegende Arthrose an den Daumensattelgelenken verschlimmere, heißt es im Gutachten. Dass mit dem Rollstuhlzuggerät auch Wege über den Nahbereich hinaus zurückgelegt werden könnten, stehe dem Anspruch nicht entgegen.

BSG: Teilhabe an Bewegungsmöglichkeiten auch für gehbehinderte Menschen

Daraufhin ging die Krankenkasse in Revision vor das BSG. Sie sah geltendes Recht verletzt, denn das Leistungsbegehren reiche über die Versorgungsziele hinaus. Ein Hilfsmittel mit einer Motorunterstützung von bis zu 25 Stundenkilometer überschreite bereits wegen seiner Leistungsfähigkeit das Maß des Notwendigen, weil kein Grundbedürfnis bestehe, sich den Nahbereich schneller als mit durchschnittlicher Schrittgeschwindigkeit zu erschließen. Statt dem elektrischen Rollstuhlzuggerät stünden andere, wirtschaftlichere Versorgungsalternativen zur Verfügung.

Diese bisherige Rechtsprechung hat das BSG in seinem aktuellen Urteil jetzt aufgegeben und die Revision der Krankenkasse in seiner letztinstanzlichen Entscheidung abgewiesen. Zum einen sei der Anteil üblicherweise zu Fuß zurückgelegter Wegstrecken in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen, zum anderen habe sich das Bewegungsverhalten "vielfach auf Felder verlagert, die nicht mehr der Erledigung von Alltagsgeschäften zugeordnet werden können." Es müsse gehbehinderten Menschen die Teilhabe an Bewegungsmöglichkeiten eröffnet werden, die auch nicht in ihrer Gehfähigkeit beeinträchtigten Versicherten offenstehen. Daher beanspruche der Kläger zu Recht die Versorgung mit dem Handkurbelrollstuhlzuggerät mit Motorunterstützung. Die Krankenkasse habe nicht substantiiert dargelegt, dass ein geeignetes Zuggerät mit geringerer Motorleistung verfügbar sei.

(Aktenzeichen des Urteils: BSG B 3 KR 14/23 R)

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