Welche Gründe hat der Ärztemangel?
Was tun wir als KV RLP dagegen?
Kommentar: Let’s talk about Wartezeiten
von Peter Andreas Staub, Psychotherapeut und Mitglied des Vorstands der KV RLP
Bekannt als Wahrzeichen des untergegangenen Sozialismus mit seiner Planwirtschaft halten in vielen unserer Gesellschafts- und Wirtschaftsbereiche Wartezeiten als unschöne Belästigungen für die Bürgerinnen und Bürger Einzug.
Die Erklärung seit gut zwei Jahren: Lieferschwierigkeiten aufgrund der Pandemie. Hinzu kommen seit Langem prophezeite demografische Veränderungen: Es fehlen schlicht immer mehr Fachkräfte. Ganz schmerzlich werden die Wartezeiten im Gesundheitssektor, wenn etwa auf Facharzttermine monatelang gewartet werden muss. Oder wenn Kinderarztpraxen in der RSV-Infektionswelle überlaufen und sogar für Fiebersäfte Wartefristen existieren. Oder wenn bei Hausärztinnen und Hausärzten die wartenden Patientinnen und Patienten in langen Schlangen im Treppenhaus bis auf die Straße anstehen.
Diese Entwicklung ist schleichend gekommen, aber bislang wird sie kaum wahrgenommen bzw. es wird kaum wirksam darauf reagiert. Zum Aufregerthema hat sich jedoch aktuell entwickelt, dass in den Feiertagszeiten und zwischen den Jahren in den Ärztlichen Bereitschaftspraxen der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz (KV RLP) ähnliche Situationen entstanden sind und Menschen Wartezeiten aushalten mussten. Wohlgemerkt: Sie alle wurden behandelt, nur mit Wartezeiten – nicht wie aktuell in Großbritannien mit Streiks im staatlichen nationalen Gesundheitswesen. Für die Wartezeiten in den Ärztlichen Bereitschaftspraxen meint man, den Schuldigen gefunden zu haben, und schiebt die Situation auf Organisationsfehler der KV RLP. Die Frage dahinter sollte aber sein: Warum gibt es diese Wartezeiten – und das nicht nur im Ärztlichen Bereitschaftsdienst, sondern auch immer mehr in Fach- und Hausarztpraxen sowie im psychotherapeutischen Bereich?
Wartezeiten sind Ausdruck von Planwirtschaft und Mangelverwaltung. Ein gefragtes Gut ist gegenüber der Nachfrage zu wenig vorhanden. Das gefragte Gut sind Behandlungszeiten durch Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen. Diese Behandlungszeiten werden immer weniger. In Zeiten der sogenannten Ärzteschwemme mit freien Niederlassungsmöglichkeiten und 100-prozentiger Vergütung der erbrachten Gesundheitsleistungen waren diese Behandlungszeiten in rauen Mengen für alle vorhanden. Ohne Warten. Das hat eine Menge Geld gekostet. Die Gesellschaft war sich einig, dass man sich diesen Luxus der Gesundheitsversorgung mit freier Fahrt für alle Bürgerinnen und Bürger hat leisten wollen.
Wie eine Art Kreditkarte ist die Gesundheitskarte der Türöffner für alle selbst gewählten Termine bei jeder Ärztin und jedem Arzt ohne Limit nach oben. Das stieß mit der Zeit natürlich an wirtschaftliche Grenzen. Und nun setzte beim Bundesgesetzgeber ein planwirtschaftlicher Eingriff auf der Leistungsseite ein: Ärzteausbildung wurde gedrosselt, 10.000 Medizinstudienplätze wurden gestrichen. Eine sogenannte Bedarfsplanung wurde eingeführt, um die Praxenvielfalt und freie Niederlassungen zu unterbinden. Schließlich wurde das Honorar für die Behandlungszeiten massiv gedeckelt und budgetiert. Und ganz wichtig: Jede Ärztin und jeder Arzt, die bzw. der zu viel arbeitet, wurde und wird bestraft und mit Regressen bedroht. Und nein: Die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger wurde und wird mit keiner Maßnahme eingeschränkt.
Vor der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in Berlin läuft seit Jahren ein elektronischer Zähler rückwärts, die "Arztzeituhr": Sie macht auf die stetige Reduzierung von ärztlicher Behandlungszeit aufmerksam. Denn die demografische Veränderung der Gesellschaft macht auch vor der Ärzteschaft nicht halt: Immer mehr Praxen, die wegen Alter aufgegeben werden, finden keine Nachfolge. Gleichzeitig überzieht man die Praxen in den vergangenen Jahren mit einem kräfte- und nervenaufreibenden Digitalisierungsdruck, der auch die letzten Aufrechten zermürbt hat.
Und dann die Pandemie und die nachfolgenden Impfaktionen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte: 90 Prozent der an Covid-19 Erkrankten und 90 Prozent der Geimpften wurden in einer ambulanten Praxis behandelt. Das hat die Medizinerinnen und Mediziner und ihre Praxisteams schließlich an den Rand ihrer Belastungsgrenze gebracht. Den Gipfel leistete sich die Bundespolitik im Verbund mit den Krankenkassen mit einer Salve von Honorarohrfeigen in diesen Zeiten der Inflation und Energiekostenexplosionen: zwei Prozent mehr Honorar bei acht Prozent Inflation für das Jahr 2023. Mit all dem vergrault man auch noch die älteren Ärztinnen und Ärzte, die gerne ein bisschen länger hätten arbeiten wollen.
Es ist verständlich, dass sich viele Ärztinnen und Ärzte über die Feiertage und zwischen den Jahren eine Ruhepause für sich und ihre Medizinischen Fachangestellten gegönnt haben. Die Behandlungszeiten werden immer rarer und die KV RLP verwaltet diesen MANGEL. Nicht, dass die KV RLP erst im Herbst mit der Aktion "WIR SEHEN SCHWARZ – für die Zukunft unserer Praxen." auf die Misere der ambulanten Medizin hingewiesen hätte. Denn auch sie kann nur Behandlungszeiten in Ärztlichen Bereitschaftspraxen anbieten und auf diejenigen Ärzt*innen mit medizinischem Fachpersonal zurückgreifen, die vorhanden sind und Dienste erbringen wollen. Auch sie kann sich mit den knappen Honorarmitteln, weil durch die Ärzt*innen finanziert, nur Ärztliche Bereitschaftspraxen im Unterhalt leisten, die für wenige dringliche Behandlungen außerhalb der regulären Sprechzeiten der Arztpraxen anfallen.
Aus all diesen Punkten resultieren die ungeliebten und aktuell viel beachteten Wartezeiten. Somit sind wir zur Grundfrage des Anfangs zurückgekommen: Warum gibt es diese Wartezeiten? Sie sind das Zeichen eines Mangels.
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